Dienstag, 18.07.2007


Heute ist der große Tag. Ich habe leichte Kopfschmerzen, eins der Bierchen gestern war wohl schlecht. Und so bin ich mir eigentlich etwas unsicher, wie ich es schaffen soll, nach den Erfahrungen der letzten Tage, heute den Spindlerpass UND das Isergebirge zu überqueren. Günter, der mich ja stellenweise auf der Tour bisher auf die Berge ziehen musste, hat etwas schwere Beine, er ist auch am Zweifeln. Doch meinem Ohr geht es erstaunlicherweise wesentlich besser als gestern, zumindest gibt es da keinen weiteren Grund zur Besorgnis.
Es ist kühl, im Schlafsack habe ich heute Nacht etwas gefröstelt. Aber das kann ja für die folgenden Kilometer nur gut sein. Also dann... Packen und ab. Eine andere Möglichkeit haben wir sowieso nicht, das ist die kürzeste Strecke und Günter muss morgen wieder arbeiten.
Die Rezeption ist ab 7 Uhr besetzt, wir kommen also recht zeitig, viertel acht wieder vom Camp weg. Schön war es hier. Günter spricht dauernd davon, das er doch mal wieder hier Urlaub machen könnte. Die Straße durch den Wald ist etwas steiler als gestern aber es ist für mich wieder einmal faszinierend. Schon im letzten Jahr in der Schweiz hatte ich das Gefühl, dass sich meine Form von Etappe zu Etappe steigerte. Und auch heute habe ich genau den richtigen Gang gefunden und kurbele mich nun mit einer sehr gleichmäßigen Tretfrequenz und einem gleich bleibenden Schnitt von 8 km/h den Berg hinauf. Nicht zu schnell, nicht zu langsam, das ist das Rezept. Ich fahre MEIN Tempo. Und wieder einmal, trotz der anstrengenden letzten Tage, komme ich so nie außer Atem und kann diese wunderbare Auffahrt zum Spindlerpaß in vollen Zügen genießen. Die beiden Elbetäler bleiben unter uns zurück, der Ziegenrücken im Südosten, südwestlich Medvedin, dann weitet sich der Blick zu den Höhen um die Elbfallbaude, die ich vergeblich suche, die Felswände um die Elbefälle, Vysoke Kolo mit den Bauwerken auf dem Gipfel. Ich könnte laut jubeln vor Freude, so herrlich sind diese Augenblicke.
 Günter hat heute etwas mehr zu tun, aber auch er ist begeistert von dieser Landschaft, deren Eindruck auch die stark geschädigten Baumbestände nicht schmälern. Das ist wirklich der Höhepunkt dieser Tour de Böhmen 2007. Mich überkommt eine ähnliche Euphorie wie im vergangenen Jahr. Vergessen sind die letzten drei Jahre VWA, das letzte halbe Jahr an Prüfungen, weit zurück, schon gar nicht mehr wahr ist das. War das überhaupt in diesem Leben?!
Schneller als vermutet, tauchen schon über uns, vor uns Hütten, Hotels auf. War es das schon? Tatsächlich, der Höhenmesser zeigt 1100 Meter. Nur noch zehn Minuten, der Hang wird flacher, Wald weicht zurück, dort der Maly Sisak, darunter Spindlerova Bouda. Groß, pompös, protzig. Und selbstverständlich mit Tennisplatz daneben. Ist das nicht krank?!
An der Grenze das Siegfoto. Wir sind oben, der Höhenmesser zeigt nun 1180 Meter. Höher geht es auf dieser Tour nicht mehr. Nach einigen Fotos nehmen wir schließlich auf der Restaurantterrasse der Spindlerova Bouda Platz und genießen bei der Aussicht und diesem Wetter noch einmal Kaffee und Apfelstrudel mit Sahne. Eigentlich schade, dass wir jetzt, dreiviertel neun, schon oben sind... Es war zu schön.
Wir genießen diese Minuten nun noch einmal. Auch Günter leidet ziemlich darunter, dass nun in wenigen Stunden alles vorbei ist. Als wir wieder aufbrechen, spricht uns noch Einer an, der hier Gast ist, dem das aber peinlich zu sein scheint, denn er outet sich als Mountain-Bike-Fahrer und will wissen, wo wir herkommen und hin wollen. Und dann schauen wir von unserer Höhe hinab in die weiten tief unter uns gelegenen Ebenen von Polen. Die Asphaltpiste ist nun für mich so steil, siehe Abfahrt von der Großen Scheidegg 2006, dass ich streckenweise schieben muss. Unglaublich, wie man sich hier mit einem Rad hinauf arbeiten kann. Und dazu diese deprimierenden Zahlen auf dem Asphalt. 1000 m, 500 m....
Der Wald ist auch hier schwer beschädigt, die Baumruinen stehen gespenstisch auf den Hängen. Schnell geht es nun weit, sehr weit hinab. Leider.
Übrigens ist dieses der zweite Polenaufenthalt, nach einem Tag Zakopane 1978, in meinem Leben. Die Wandererinfrastruktur ist auf der Nordseite des Riesengebirges wesentlich schlechter als in Böhmen. Auch wenn die Landschaft, der Wald mit seinen zahlreichen Bächen urwüchsiger, schöner wirkt. Zwischen den Baumkronen bieten sich immer mal wieder Blicke auf die hoch oben liegenden Kesselgruppen, den Vysoke Kolo, das wirkt hier viel schroffer als von Süden. Und der mangelnden Beschilderung verdanken wir es nun auch, dass wir unten in Przsieka auf 450 Metern fast eine Ehrenrunde von mehreren Kilometern drehen, da wir unabsichtlich fast wieder, nach einem ordentlichen Anstieg auf 600 m versteht sich, an der Stelle herauskommen, wo wir eine halbe Stunde zuvor abwärts fuhren.
Nun entscheiden wir uns doch für den Radweg ER-2. Der ist zwar gut ausgewiesen, aber im eigentlichen Sinne eher ein steiniger Wander- als ein Radweg. So arbeiten wir uns mühevoll durch den Wald, die Räder werden dabei gründlich auf ihre Materialbeständigkeit getestet.
Doch auch dieser Weg wird besser, ein paar Kilometer weiter, unterhalb des Vysoke Kolo, sehen wir viele Jogger, Einer ist so schnell, dass wir ihn mit dem Rad gar nicht richtig abschütteln können und ganz verblüfft sind, dass er ein gutes Stück hinter uns her läuft.
Um eins erreichen wir Szklarska Poreba. Schreiberhau ist ein belebter Kurort am Rand des Riesengebirges, viele Touristen, kaum Deutsche, aber viele Polen sehen wir hier. Eine Souvenirbude reiht sich an die andere, Fressbude an Fressbude. Aber so bekommt Günter auch noch ein Schnitzel, welches so groß ist, dass wir beide davon satt werden. Und Cola gibt es dazu. Eisgekühlt, gerade das Richtige! Wir haben jetzt 40 Kilometer von Spindlermühle hierher zurück gelegt. 16.37 fährt der Zug von Zittau, 18.37 der nächste. Leider stehen wir nun ein wenig unter Zeitdruck. Und noch liegt das Isergebirge vor uns.
Halb zwei fahren wir nach der Mittagspause weiter. Es geht wieder aufwärts, aber zum Glück liegt Schreiberhau schon 650 Meter hoch, so dass uns der folgende Höhenunterschied auf 795 Meter kaum noch juckt. Schön noch einmal der Blick auf die Riesengebirgsnordseite, dort ist die Schneekoppe sogar zu sehen, dann sind wir überrascht, schon oben zu sein. Und nun folgt eine lange lange rasche Fahrt hinab über das Isergebirge ins 17 Kilometer entfernte Swieradow Zdroj. Blöderweise aber teeren gerade in der größten Sonnenglut polnische Straßenarbeiter die Straße und schütten Schotter darauf. Das bleibt sofort an den Reifen kleben und vekleistert wahrscheinlich auch den Rahmen entsprechend. Und das Tempo leidet ebenfalls entsprechend.
In Zwieradow Sdroj haben wir nun nach 60 Kilometern heute auch das Isergebirge überquert. Noch eine Rast, es ist vierzehn Uhr, zwei Cola, dann weiter, hinüber nach Nove Mesto, Frydlant, hinüber ins Böhmische. Wir umrunden hier die Nordhänge des Isergebirges. Und auch hier sind große Waldschäden auf den Hängen zu beobachten.
Nove Mesto, Abfahrt, Wind von Nordost, der Wetterbericht hat sich gründlich geirrt, theoretisch hätte es heute von Südost wehen müssen. Und das bremst auch noch ein wenig aus.
Kurz vor Frydlant sehen wir plötzlich den Jeschken von Norden. Die Runde schließt sich. Abschiedsstimmung, es war eine tolle Tour. Rast in Frydlant, Getränke und Süßigkeiten für die Kinder kaufen...
Es ist 15 Uhr. Den Zug 16.37 werden wir nicht mehr schaffen, denn noch liegen 23 Kilometer bis Zittau vor uns. Und bei dem Wind, den noch zu erwartenden Hügeln und den schweren Rädern ist das aussichtslos. Wieder ein kraftiger giftiger Hügel, wieder hinüber ins Polnische, wieder den Ausweis zeigen, Bogatynia...
 Bogatynia, hier spürt man die Nähe Deutschlands, viele Pendler scheinen hier zu leben, die Häuser sehen gepflegt aus. Und man scheint mit der Kohle hier gut Kohle zu machen
Etwas weiter dann die Verursacher des Waldsterbens in dieser Region. Eine riesige Kohlengrube, dahinter Kraftwerk... Wie auf dem Mond sieht das aus. Schrecklich. Und so schnell werden wir nun auch aus der Idylle der letzten drei Tage gerissen.
Hier sind wir wieder, drüben liegt Zittau, dessen Türme wir schon sehen. Das war’s. Schade.... Ein Stück radeln wir nun an der Neiße entlang, dann die Brücke und nun der Grenzübergang Friedensstraße,
Zielfoto (!!!) und dahinter Zittaus Straßen. Wir suchen und finden den Bahnhof, es ist 17 Uhr, holen am Automaten die Fahrkarte (Sachsenticket für 26,- EUR und jeweils eine Fahrradkarte für 4,50 EUR, ich glaube, dafür kann man drüben von Prag bis Kosice fahren).
Und wir haben nun noch Zeit, in einem Restaurant etwas zu trinken und zu essen. Es gibt ein schönes Schnitzel (4,50 EUR, das ist für deutsche Preise fast geschenkt)...
18.37 Abfahrt.
Draußen die Lausitzer Berge, Hochwald, Lausche, Jedlova, das haben wir alles von Süden gesehen... Und ich freue mich auf den Herbst, da wir vielleicht noch einmal hierher zum Wandern fahren.
20.10 sind wir in Dresden Neustadt, 20.37 Abfahrt nach Meißen, wo wir gegen viertel zehn ankommen und nach kurzer Suche das Auto wieder finden.


Strecke: 113,10 km, Zeit: 7:22:28, Höhenmeter: 1550