Dienstag, 14.08.2001

Nach einer ganz erholsamen Nacht bin ich merkwürdigerweise genau 6 Uhr wach.
Das ist die Alltagsgewohnheit.
Bis das Sonnenlicht zu uns vordringt und auch Thomas weckt, lese ich ein wenig in der "Alpin", die er von Spanni geliehen hat. Dort gibt es einige Tipps zum Gehen auf Gletschern.

Das Rhonetal ist wirklich ein Ausnahmefall.
Es erstreckt sich ziemlich genau von Osten nach Westen und bekommt so den gesamten Tag die Sonne ab.
Dementsprechend ist hier unten auch die Vegetation sehr südlich, der Boden ist trocken, sonnenverbrannt, muß bewässert werden, überall wird Obst, besonders Wein, angebaut...
Und schon jetzt, am frühen Morgen ist es wieder heiß.
Nach dem Packen und dem Frühstück sitzen wir wieder im Auto.
Der Wetterbericht, den ich auf einem Schweizer Sender im kleinen Weltempfänger höre, verheißt nicht unbedingt Positives für die nächsten Tage. Heute soll es noch heiß werden, Mittwoch zunehmend schwül, Gewitterinseln sollen sich ausbilden, ab Donnerstag soll dann ein massives Gewittergebiet von Südwesten heranbrausen.
Donnerstag.... Da wollten wir eigentlich ganz oben sein.
Aber es bringt jetzt nichts, in Panik zu verfallen, einen Viertausender haben wir bereits, warten wir es ab...
"Schaun mer mal"
Auf der Rhonetalautobahn kommen wir sehr schnell vorwärts, sind bereits nach einer dreiviertel Stunde in Martigny, wo wir in einem Supermarkt ein paar Andenken und Wein für die Familien kaufen und billig Schweizer Benzin tanken, dann fahren wir ohne weiteren Aufenthalt zum Großen Sankt Bernhardt.
Im Gegensatz zum letzten Jahr ist die Aussicht heute ausgezeichnet.
Schon von weit unten sehen wir den Eiskoloss des Grand Combin, was damals auf Grund der Wolken nicht möglich war.
Kann denn morgen und übermorgen nicht auch solch ein Wetter sein ?!
Auf dem Paß ist die Hölle los.
Kaum findet man einen Parkplatz, das Gebirgspanorama, was sich hier bietet, ist gar nicht so umwerfend, der Mont Velan sieht gewaltig aus, aber nach Süden zu gibt es lediglich ein paar Zwei- und Dreitausender zu bestaunen. Und das spielt ja hier in den Westalpen fast keine Rolle... Oder ?! Na, nicht überheblich werden.
Jedenfalls gibt es hier Plüschbernhardiner und Touristen in allen Größen und Variationen.
Wir trinken einen starken Kaffee in einem Restaurant, sehen uns ein wenig um, hier oben ist ein absolutes Funkloch, das heißt, der Empfang für das Handy ist gleich Null.
Und es ist Mittag, jetzt wollte ich eigentlich mit Mike das weitere Vorgehen besprechen. Doch als wir in Italien in Richtung Aosta wieder ins Tal hinab fahren, klingelt es plötzlich. Das ist Mike!
Sie waren auf dem Castor! Sie waren ebenfalls erfolgreich, tolle Tour... Gratulation!
Sind gerade in Staffal, wo es keinen Zeltplatz gibt! Keinen Zeltplatz! Mist!
Sie sind auf der Suche nach einem Hotelzimmer! Noch einmal Mist!
Das wird teuer, was machen wir nun?!
Sie werden sich umsehen, ob sie auch für uns etwas finden. Und 15 Uhr melden wir uns wieder.
Es geht weiter, nach Aosta, wir haben jetzt einen Radfahrer am Hinterrad, den wir bergab nicht abschütteln können. Ohne Helm, ohne alles, düst der hier mit Tempo 60 den Berg hinab.
Ich bin indessen ein wenig unruhig geworden. Kein Zeltplatz bedeutet Hotel. Das ist teuer.
Wild zelten wollen wir nicht. Eine Dusche heute abend wäre aber auch nicht schlecht.
Kein Hotelzimmer aber würde bedeuten, wir müßten wesentlich weiter unten nach einer Übernachtungsmöglichkeit suchen.
Und das bedeutet morgen früh Verzögerung, längere Anfahrt...
Warten wir ab.
Das Aosta-Tal zeigt entgegen unseren Erwartungen nur noch wenig Spuren der Hochwasserkatastrophe vom vergangenen Oktober, wo es zahlreiche Opfer hier gab.
Lediglich einige Baustellen künden davon, dass hier die Straße unterspült und abgerutscht war. Aber die Häuser sehen ganz gut aus. Auch die Bäume und Pflanzen in den Uferregionen der Dora Baltea sind nicht zerstört.
Im Tal ist es wieder heiß, aber ein kräftiger Wind, der talaufwärts weht, läßt dieses Klima erträglich werden.
Um die Maut für die Autobahn zu sparen, nehmen wir die Staatsstraße bis Pont St. Martin. Und so können wir einige Zeit diesen Süden genießen, die Palmen, die hier schon wachsen, die Feigenbäume, die üppigen Blumen und Sträucher, die engen verwinkelten Gassen in den Dörfchen, die Balkone, die sich oben fast berühren...
Der Hund, der neugierig von oben auf uns herabschaut... Die alten Männer, die auf den Stühlen am Straßenrand sitzen und wichtige Themen besprechen. Die knatternden Dreiräder und Vespas... Das ist Italien.
Nach Gressoney hinauf schlängelt sich nun die Straße durch ein tiefes Tal, die südliche Vegetation weicht Lärchenwäldern an den Berghängen, darüber ohne Übergang Grasmatten und die Felsgipfel.
Typisch für die Südseite hier in den Alpen sind die Lärchenwälder. Nordseitig, in der Schweiz auf der Rückfahrt sind es Fichten und Tannen.
Wie schön muß es im Oktober hier sein, wenn das Wetter klar ist, der Himmel blau, der Schnee weiß und die Lärchen gelb.
Im Tal ist der Funkempfang besser als gedacht, kurz nach 15 Uhr erreiche ich Mike. Es gibt Probleme.
Nur ein Zimmer (65,- DM/Person) ist noch frei. Und das haben nun Mike und Jürgen erst einmal genommen.
Übrig ist noch ein Zimmer für 120,- DM / Person. Aber das ist unbezahlbar für uns.
Wir einigen uns nun darauf, dass wir, Thomas und ich, hier oben in Gressoney St. Jean einen der beiden in der Karte eingezeichneten Zeltplätze aufsuchen und dort übernachten.
Mit den anderen Beiden treffen wir uns danach oben in Staffal.
Also gut, nach kurzem Fotostopp auf dem Parkplatz des Ortes, wo wir den in Quellwolken gehüllten mächtigen Liskamm ablichten, machen wir uns auf die Suche.
Und schon nach kurzer Zeit finden wir die bewußte Wiese am Ufer der Lys.
Ringsum ländliche Idylle, Kühe, Kaninchen, Hühner, dazwischen Zelte.
Die Anmeldung (23000 Lire) ist kompliziert, der Zeltplatzchef spricht weder englisch noch französisch oder deutsch, so müssen wir uns mit Händen und Füßen verständigen.
Das Tal macht leider nicht solch einen ursprünglichen Eindruck wie das Valsesia. Es fehlen hier die alten steinplattengedeckten Walserhäuser, die uns im letzten Jahr so gut gefielen.
Einige Zeit später treffen wir uns mit Mike und Jürgen oben in Staffal, auf einer Restaurantterrasse, dort wo die Seilbahnstationen sind. Jürgen schmeißt zwei Runden Cappuccino, während wir uns über die erfolgreichen letzten Viertausender- Touren austauschen.
Die Beiden waren am Samstag bereits hier, sind am Sonntag hinauf zur Sellahütte auf 3600, haben dort übernachtet, am Montagvormittag den Castor über den Grenzgrat bestiegen (hatten ebenso gute Sicht wie wir) und sind nach einer nochmaligen Übernachtung in der Sellahütte seit heute Vormittag wieder im Tal.
Also sind sie ebenso gut akklimatisiert wie wir.
Allerdings hat Mike wieder akute Probleme mit seinen Sehnen, so dass er morgen mit der Seilbahn zum Stolemberg fahren wird und von dort hinüber zur Mantovahütte queren will.
Wir anderen drei beschließen dagegen, von Staffal aus hinauf zu laufen. So akklimatisieren wir uns besser durch den langsamen Aufstieg und das Tal soll auch recht schön sein. Mike wird, da er die kürzere Strecke geht, das Seil nehmen.
Treffen soll morgen früh 9.00 Uhr am Parkplatz hier in Staffal sein. Morgen ist Mittwoch, wir sind gespannt, ob sich die Wettervorhersagen bewahrheiten.
Auf jeden Fall wollen wir (noch ist nicht ganz klar, ob wir zur Gniffetti, das spart am Donnerstag 40 Minuten Aufstieg, bzw. nur zur Mantova hinaufgehen) so hoch wie möglich sein, um am Donnerstag gegebenenfalls schnell reagieren zu können.
Nach dem Kaffeekränzchen verabreden wir uns für 20 Uhr in Gressoney St. Jean, wir wollen noch einmal richtig zu Abend essen.
Und so komme ich (Thomas verzichtet erstaunlicherweise) noch zu einer eiskalten Dusche auf dem Camp. Es wird frisch in dieser Höhe, 1700 Meter, als die Sonne verschwindet.
Gressoney besitzt einen ganz netten alten Ortskern, einige Geschäfte, einige Restaurants. Aber morgen ist wieder Maria Himmelfahrt - Feiertag in Italien, deswegen haben wir wenig Chancen, einen ansprechenden Platz zum Essen zu finden. Und das, wo ich doch so scharf auf eine ordentliche Pizza bin.
Letztendlich landen wir im "Bierfall"!
Blauweiß karierte Fahnen, Würschtl mit Pommes auf der Speisekarte... Hoch lebe die bayrische Lebenskultur!!! (?!)
Zum Glück sind aber auch frische Salatteller im Angebot und so gestaltet sich der Abend bei einer Flasche Rotwein noch ganz zünftig.
Und über uns ein unermeßlicher Sternenhimmel mit Sternschnuppen.