Freitag, 03.09.2004

 

19.05 Uhr fährt der Zug ab Leipzig nach Chemnitz, 20.50 Uhr hält der Zug in Chemnitz, Mike steht am Bahnsteig und holt mich ab. Er parkt vor dem Bahnhof und so kann es im Auto gleich losgehen.

Vogtlandautobahn, Hof, Weiden, Regensburg, es ist Nacht, die Strecke leer, er fährt sehr zügig und so sind wir bereits nach drei Stunden in München.

Zu erzählen gibt es auch Einiges.

0.15 Uhr München, Tankpause, dann weiter über Garmisch, Mittenwald und Innsbruck auf die Brennerautobahn.

Mike der Vielfahrer fährt und fährt, allerdings ist die Fahrt dank Tempomat auch für ihn recht erholsam.

Brenner, Bozen, im Nachtdunkel sehen die Silhouetten der Berge gar nicht so hoch aus.

Gegen 3.00 Uhr erreichen wir Trient, dort verlassen wir die Autobahn und nun geht es auf kurvenreicher Straße hinauf ins Gebirge, ehe wir viertel vier eine ruhige Stelle in einer Plantage finden, wo wir ein paar Stunden pennen können.

 

Samstag, 04.09.2004

 

Ich bleibe gleich im Auto, Mike legt sich draußen im Schlafsack auf die Zeltplane. Gegen halb sechs, es ist noch stockfinster, erste Regentropfengeräusche auf dem Autodach. Und kurz darauf steht Mike fluchend vor der Autotür und knüllt hastig alles in den Kofferraum, gerade noch rechtzeitig, ehe das Gewitter niedergeht. Nun noch einmal Nachtruhe bis 8 Uhr, dann 9.30 fahren wir weiter. Die Landschaft erinnert uns hier stark an den Balkan, an die Stara Planina, hohe Kalkberge, die Vegetation, die Sonne, die Bauernhöfe, alles erinnert uns an Bulgarien.

Dann, wir fahren ein Stück in Richtung Riva del Garda, ein See, ein Anblick wie im Bilderbuch, eine Halbinsel mit Schloß, Zypressen, die geschwungenen Balkons an den Häusern, die Weinhänge. Einfach wunderschön...

Nun wieder aufwärts ins Gebirge, Tione, Pinzolo ist bald erreicht. Das Val Genova, ein enges ursprüngliches Tal mit wild aufragenden Felsbergen ringsum, erstreckt sich nun ca. 16 Kilometer bis ins Herz der Adamello-Presanella-Gruppe.

Schon nach 10 Kilometern ist für den öffentlichen Kraftverkehr eigentlich Schluss, ab hier verkehren Kleinbusse für die Tagestouristen. Aber da wir bis zum Mandronehaus wollen, dürfen wir hinter dem Bus bis Bedole am grandiosen Talschluss weiterfahren. Dort ein recht großer Parkplatz, zahlreiche Autos, wir befinden uns auf einer Höhe von 1600 Metern. Vor uns das mit der weit oben sichtbaren Zunge des Mandronegletschers, südlich das Tal mit dem Lobbia-Gletscher, nordöstlich die Felsabstürze der Presanella. Diese wilden Täler kennen wir aus den nördlicheren Ostalpen nicht. Außer Touristen und Bergwanderern soll’s hier sogar noch Braunbären geben. Der Felssockel, auf dem das Mandronehaus stehen soll, sieht sehr steil aus. Es ist aber auf unserem gemächlichen Aufstieg dann sehr überraschend, welch komfortabler und oberhalb der Waldgrenze aussichtsreicher Wanderweg hier gebaut wurde.

Wir laufen langsam, altersgerecht , machen einige Pausen, stets darauf bedacht, nicht zu viel Schweiß zu vergießen, aber in der Sonne läßt sich das dann nicht sehr lang vermeiden. Bis ca. 2000 Meter sind wir völlig allein, dann jedoch treffen wir auf eine große Gruppe lärmender Italiener, die wir oben an der Hütte wieder sehen.

Nur wenige sind aber mit Seil und Pickel unterwegs. Wir fallen da mit unseren schweren Rucksäcken schon etwas auf.

Oben am Mandronehaus viele Leute. Das war allerdings bei dem vollen Parkplatz zu befürchten und zudem ist es Wochenende. Viele Quellwolken sind nach dem Mittag aufgezogen, diese verdichten sich, zeitweise am Nachmittag sind die Berge völlig eingehüllt und dann am Abend gibt es sogar etwas Regen.

Aber das soll uns nicht den Tag vermiesen, wir kehren zu Capuccino und Kuchen ein, bekommen zwei Lager mit Halbpension, das Abendessen ist dann Spitze und der Wein und das Bier schmecken auch. 

Das haben wir uns verdient. 

Trotz Wolken ist der Ausblick sehr schön, im NO Presanella, im O Ausläufer der Brenta, im S Adamellogruppe.

Flache Gletscher, der Zustieg, den wir nur erahnen können, scheint auch sehr flach zu verlaufen, es gibt kaum Höhengewinn bis zur Gletscherzunge.

Abgesehen von der Müdigkeit geht es uns jetzt blendend, der Hüttenabend wird auf Grund von zwei Geburtstagsfeiern, welche die Italiener hier oben veranstalten, sehr lustig. Nach 22 Uhr ist aber trotzdem schlagartig Ruhe...

Der Regen hat die Luft klar gewaschen, draußen wölbt sich ein unermesslicher Sternenhimmel.

 

Sonntag, 05.09.2004

 

Hinter der Brenta zeigt sich ein wundervoller Sonnenaufgang. 6 Uhr gibt es Frühstück, dann brechen wir bald auf. Wir sind wieder recht langsam, aber bei diesem wolkenlosen und windstillen Wetter lädt jeder Ausblick zu Fotopausen ein.

So wird es 10.15 Uhr als wir endlich die Gletscherzunge erreicht haben. Erstaunlicherweise haben wir dennoch die Anderen fast eingeholt. Wir gehen ohne Seil, es gibt kaum Spalten, queren die Gletscherzunge, dann ein erster Aufstieg und dann unterhalb der Lobbia Alta-Hütte, die hoch oben im Fels thront und wohin auch die Meisten gehen, finden wir Überbleibsel aus dem ersten Weltkrieg. 90 Jahre sind diese Stacheldrahtreste und leeren Granatenhülsen jetzt alt.

Und wenn man in Gedanken die Fotografien aus diesem Gebirgskrieg dazufügt, dann ist das Gesamtbild schon erschütternd. Wie sinnlos waren die Kämpfe hier oben, wie schlimm muss es hier in Kälte und Sturm gewesen sein.

Die Gletscherlandschaft verändert sich, aber das Eis ist endlos. Die Oberfläche ist mal sehr bucklig, wir müssen manchmal von einem Buckel zum anderen springen, dazwischen Schmelzwasserbäche, die gurgelnd in tiefen Löchern im Eis verschwinden, dann Spaltenzonen, zwischen denen wir den Weg suchen müssen und schließlich auf der weiten weiten Hochfläche Pian di Neve ein knöcheltiefer Eismorast. Die Zeit verrinnt, der Weg ist weit, der Rucksack drückt und obwohl um uns her soviel gefrorenes Wasser ist, haben wir Durst. Die Kulisse der Berge verändert sich innerhalb dieser langen Stunden auch kaum, demzufolge gibt es keine überraschend neuen Anblicke, der Corno Bianco, den ich nur schnee- und gletscherbedeckt von Fotografien her kenne und den ich gern besteigen wollte, ist nur noch eine graue trostlose Felspyramide.

Und die Sonne brennt...

Auch der Gipfelaufbau Adamello schließlich ist nur noch ein riesiger Felsblockhaufen. Schrecklich, hat diese Veränderungen zum Stand der Fotos von 1997 dieser heiße Sommer 2003 maßgeblich bewirkt?!

Das Refugio Ugolini, eine Blechdose auf einem brüchigen Fels, wäre unser heutiges Tagesziel. Geplant hätten wir morgen in der Dämmerung von hier den Aufstieg über den Gletscher auf den Adamello, aber das wäre halsbrecherisch bei diesem Fels gewesen. Aus dem Gipfelaufbau kracht Steinschlag, mehrere hundert Meter weit kullern die Blöcke. Der Aufstieg zum Biwak ist ausgesetzt, ich habe ein schlimmes Angstgefühl, das versuche ich auch Mike zu vermitteln, der hier hinauf will. Aber mit dem schweren Rucksack hier hoch und wieder hinunter ist das für mich nicht drin.

Wir zögern, Mike benötigt eine Weile, um sich auf eine Planänderung einzulassen, doch mir ist diese Angelegenheit von vornherein viel zu riskant. Welche Möglichkeiten aber bleiben uns?

Es ist 16.15 Uhr, viel zu spät, um die Hütte unten wieder zu erreichen, wir sind auch recht fertig.

Und die Spaltenzonen in der Dunkelheit sind ebenfalls gefährlich. Schließlich einigen wir uns darauf, den Adamello heute noch ohne Gepäck zu besteigen, danach zurück über die Pian di Neve bis zum Refugio Giovannantonj zu gehen, welches eine Stunde unterhalb steht und morgen ganz abzusteigen.

Hinauf zum Gipfel ist es nun eine recht nette und abwechslungsreiche Blockkletterei, schön leicht, genau das Richtige für mich. Und trotz Erschöpfung kommen wir gut voran, aufwärts, bis wir schließlich, nach aufregenden Tiefblicken zum Stausee auf der Adamello-Westseite auf dem Gipfel stehen und die Glocke läuten.

3539 Meter... Wir sind auf dem Gipfel des Adamello.

Weit und breit kein Mensch, wir sind allein auf diesem Berg inmitten dieser arktischen Gletscherwüste.

So steigen wir nach einiger Zeit recht rasch wieder ab, nehmen die Rucksäcke nach kurzer Pause auf, es ist 18.30 Uhr, und laufen nun über die Pian die Neves, uns angeregt über das Thema Angst unterhaltend, zum Refugio Giannantonj.

Auch das steht ca. 10 Meter auf einem Felsgrat über dem Gletscher, der Aufstieg ist ebenfalls kribbelig, denn auf der Südseite kann man in den treibenden Wolkenschwaden den Abgrund erahnen.

Aber dann sind wir auf allen Vieren endlich oben angelangt. Und welch ein Glück, wir sind die Einzigen hier oben auf 3169 Metern Höhe und haben die 6-Mann-Blechschachtel ganz für uns.

Etwas später klettert Mike noch einmal zum Gletscher hinab, füllt zunächst Schnee in den Topf, welchen wir am Seil festbinden. Aber als ich den hinaufziehe, schlägt er gegen den Fels und kippt aus.

Was nun? Wie bekommen wir den Schnee zum Kochen hier hoch?! Es dämmert schon, als wir die Idee haben, das Ganze mittels einer angebundenen Plastetüte hinauf zu befördern. Das klappt tatsächlich wunderbar und das Seil hat Mike nun auch nicht ganz umsonst mitgeschleppt. Drei Tüten voller Schnee und Eis genügen schließlich.

Der Gaskocher hat nun ausgiebig zu tun. Er summt und faucht nun fast eine Stunde, um ausreichend Flüssigkeit zu gewinnen. Drin schwimmt zwar einiger Dreck, doch in Mikes tollem Expeditionskartoffelbrei und im Tee ist uns das egal.

Aber das wärmt das Biwak auf, es wird beim Schein der Kerzen und dem Schluck „Stonsdorfer“ urgemütlich. Draußen Dunkelheit, Sternenhimmel, Kälte und totale Stille, drinnen tolle Biwakstimmung. 22 Uhr ist Nachtruhe, wir kriechen, schließlich mit dem anstrengenden Tag versöhnt, in die molligen Schlafsäcke.

 

Montag, 06.09.2004

 

7.00 Uhr Aufwachen, die ersten müden Blicke erspähen draußen Nebel auf dem Gletscher.

Nebel? Das wäre übel... Im Nebel über das endlose Eis und durch die Spaltenzonen... Man kann sich in dieser gleichförmigen Einöde sehr leicht verirren.

Also Augen zu und noch ein wenig schlafen....

Einige Zeit später weicht der Nebel wunderbaren Wolkenspielen.

Die aufgehende Sonne zaubert herrliche Lichter in dieses Naturereignis und wir fotografieren und schauen und schauen.

Es herrscht leichter Frost. Mit dem Restschnee kochen wir noch einen Topf Wasser, Tee, dann packen wir alles zusammen und verlassen unsere gastliche Unterkunft.

Der Abstieg 8.50 Uhr auf den Gletscher ist (wie war es anders zu erwarten) recht unkompliziert, auf dem Hosenboden geht das schon.

Aber etwas Konzentration ist schon angesagt. Nun geht es 4 ½ Stunden den Gletscher wieder abwärts, der Sumpf ist zum Glück gefroren, da geht es leichter, die Schneebrücken und Spaltenränder sind ebenfalls fest und sicher. Zudem weisen uns zwei Italiener, die von der Lobbia-Hütte kommen und die die Einzigen sind, denen wir bis zum Mandrone-Haus begegnen, einen besseren Weg als gestern, der die schlimmsten Spalten umgeht.

An der Lobbia-Hütte ist reger Hubschrauber-Betrieb. Man baut die Hütte um und befördert massenhaft Material hinauf.

Auch wenn es heute bergab geht, so wird es mit der Zeit trotzdem zunehmend ermüdender, über die wechselnde Gletscheroberfläche zu laufen, die Hügel, die Bäche, so dass wir recht froh sind, endlich 11.35 das Eis endlich hinter uns zu haben... Bis zum Mandronehaus sind es immer noch zwei lange Stunden über Geröll.

Hier herrscht Hochbetrieb... Ganze Schulklassen sind heute hier.

Die Bedienung erkennt uns und dann gibt es das erste Bier!!!

Und Polenta und Goulasch inklusive einem abschließenden Capuccino.  Welch ein Höhepunkt.

Um die hohen Bergregionen sind heute viele Wolken, die Sicht war gestern wesentlich besser.

Und heute morgen erst...

15.00 Uhr Abstieg nach Bedole.

17.30 sind wir wieder am Auto und fahren hinab nach Pinzolo.

Das Val Genova gefällt mir wieder ausgezeichnet... Auf dem Camp Parco Adamello finden wir schnell Platz, es ist Nachsaison, alles ist wie leer gefegt. (22,- EUR/Nacht, aber die Duschen sind umsonst und das ist wichtig.)

Abends Einkehr im benachbarten Restaurant zu Pasta und Wein. Wir philosophieren noch stundenlang über den Sinn und Umfang von Bergtouren.

Und der Wein schmeckt einfach gut...

 

Dienstag, 07.09.2004

 

Gut geschlafen. Es ist wolkenlos und recht kühl am Morgen und hier im Tal, am Bach, der übrigens stark reduziert (etwas weiter oben im Genova-Tal wird er aufgestaut) hier am Zelt vorbeifließt, ist es sogar ziemlich feucht. Auch die Schlafsäcke sind an den Fußenden, da Mikes Zelt arg kurz ist, ganz schön durchnässt.

Aber im Schein der hinter der Brenta aufgehenden Sonne trocknen die bis zur Abfahrt wieder.

Noch einmal Duschen (das muss bei dem Preis sein!), dann knappes Frühstück, packen und Abfahrt.

Auch jetzt, auf der Fahrt nach Pinzolo hinüber und als wir nach kurzem Einkauf bei einem schönen Espresso und  Capuccino inkl. Croissants unter alten Bäumen sitzen, habe ich keinerlei Ambitionen, noch einmal in die Berge hinauf zu steigen. Was ist nur los?

Aber die Atmosphäre hier, zugegeben, das Durchschnittsalter liegt hier knapp über 80, gefällt mir zu sehr...

Dieses Lokal, der Zeitung lesende Opa, die schnatternden italienischen Frauen, die lärmenden Bambinis. Das ist das italienische Leben.

Auch auf dem zentralen Platz am Brunnen treffen sich viele Alte und erzählen. Das wäre in einsam für sich in seinem Pflegeheim am Fenster sitzen. Hier genießt man das Leben so lange es geht.

Aber irgendwann stehen wir doch auf und fahren nun durch das Valle di Nambron, ein ähnlich schönes und urtümliches Tal wie das Val Genova, bergauf.

Die kurvenreiche Straße führt bis auf ca. 2100 Meter, schon vom Parkplatz aus hat man nun einen schönen Blick auf die mächtigen Felsbastionen der Brenta im Osten und vor uns auf die wilden Felszinnen der Presanellagruppe.

Eine wunderbare kleine Wanderung vom Rifugio Laghi di Cornisello, wo wir das Auto stehen lassen, führt uns vorbei an türkisgrünen und dunklen Bergseen auf einem aussichtsreichen Höhenweg hinüber zur Segantini-Hütte auf 2372 m.

Zunächst müssen wir ein wenig Rätsel raten, welcher von diesen schroffen Gipfeln denn nun wirklich die Presanella sein soll, doch dann gibt es doch Einen, der überragt alle, oben am Grat von einer Schneewächte geziert.

Der Südostgrat, über den der Normalweg führt, sieht allerdings schlimm aus. Dort oben gibt es nur steile Stellen, eine Scharte muss durchstiegen werden, zu der eine steile rutschige Rinne hinaufleitet.

Die Segantinihütte ist absolut perfekt. Ein sehr freundlicher Hüttenwirt und eine traumhafte Lage als Aussichtsbalkon auf die Brenta. Wir genießen das alles in vollen Zügen und bei Capuccino und Kuchen sprechen wir darüber, wie wir den morgigen Tag gestalten wollen.

Der Hüttenwirt erzählt von Stellen am Grat, wo man nur mit Seilsicherung und Haken vorwärts kommt und die Scharte da oben sieht immer noch, auch bei Abendlicht, furchtbar rutschig und steil aus.

Für mich also keine Frage, Mike zweifelt, überlegt und hält sich noch alles offen. Möglicherweise wäre mir die Entscheidung drüben an der Denzahütte auch wesentlich schwerer gefallen, denn dort würde es über Gletscher gehen. Aber von hier aus ist die Presanella einfach eine Nummer zu groß.

Abends treffen noch zwei ältere Schwaben ein. Eventuell geht Mike morgen mit denen hoch.

Nachdem die Brenta mit einem grandiosen Glühen von den dunklen Abendschatten verschluckt wurde, philosophieren wir bei Wein und Bier ein Weilchen.

Übrigens beginnen die Handwerker, die tagsüber mit schwerster Handarbeit (Steine spalten und schleppen) die Hütte erweitern, auf Wunsch der Hüttenwirtin noch die Tür zum Gastraum inkl. Rahmen auszubauen und mit viel Getöse umzudrehen, damit diese nach der andren Seite geöffnet werden kann.

Das geht bis 22 Uhr, dann ist aber Ruhe...

 

Mittwoch, 08.09.2004

 

Gelassen und ruhig, innerlich völlig entspannt, beginne ich den heutigen Tag.

Ich stehe zwar auch 6 Uhr mit den Anderen auf, um zu frühstücken, aber dann treibt mich nichts.

Hinter der Brenta drüben, tiefschwarze Silhouette, scherenschnittartig, erscheinen die ersten orangefarbenen Lichter des Morgens.

Mike bricht 6.50 Uhr mit den Schwaben auf, der ältere Südtiroler steigt ab.

Ich bezahle noch, trödele ein wenig, räume das Zimmer, ehe ich dann gemächlich aufbreche. Ich will in das Tal mit dem Gletscherabfluss der Presanella, dort eventuell bis zum Ende aufsteigen und fotografieren.

Unabsichtlich komme ich aber auf den Pfad, der zur Scharte führt und sehe plötzlich, nicht weit entfernt, die drei Gipfelaspiranten.

Ziemlich rasch habe ich sie auf der Moräne eingeholt. Sie gehen sehr langsam. Kurz entschlossen gehe ich nun mit. Sollte ich es doch noch versuchen?

Oder wenigstens ein Stück mitgehen, um Mike Gesellschaft zu leisten, ihn moralisch ein wenig zu stärken...

Aber nein, auf 2850 Metern unterhalb der ersten Eisfelder, beende ich den Aufstieg und lasse die Drei allein weitergehen. Sie sind langsam und sicher und können das schaffen.

Ich habe die Steigeisen an der Hütte gelassen. Und da oben scheint es sehr glatt zu sein.

Na nicht schlimm.

Unter mir die dunstigen Täler, gegenüber eindrucksvoll die Brenta, wunderschön, das mal zu sehen, im NO die Dolomiten, Schlern, der Talkessel von Bozen, Rosengarten...

Und hinter mir, über mir sehe ich die drei Punkte ganz langsam zur Scharte steigen.

Ab und zu dröhnt Steinschlag aus den Wänden. Nicht sehr angenehm dort oben...

Die Punkte halten bei jedem polternden Block, der hinabstürzt.

Dann gibt oben plötzlich jemand auf, zwischen dem ersten und zweiten Eisfeld. Nach der Farbe der Kleidung würde ich auf die Italienerin tippen, die vorhin mit zwei Männern vorbei kam. Oben sind aber die Italiener, von denen ich zwei erkennen kann, recht zügig, übers Eis, die Rinne hinauf, dann in der Scharte...

Aber von der deutschen Dreiergruppe sehe ich auch nur noch zwei Mann in roter Oberbekleidung.

Das können nur Mike und der gesprächigere der beiden Schwaben sein.

Es ist jetzt 11 Uhr, jetzt erst sind die Beiden unendlich langsam in der Rinne.

Ich packe zusammen, doch ehe ich absteige, beschließe ich, noch ein Stück weit höher zu gehen.

Und dann kommt mir auf 2900 Metern völlig unverhofft Mike entgegen.

Ich bin sehr überrascht. Ausgerechnet Mike.... Er ist auf einem Eisflecken gestürzt, hat sich mit den Teleskopstöcken einen Zahn angeschlagen und nach den rutschigen Blankeisfeldern und der steilen Rinne absolut keine Lust mehr auf den Gipfel. Also steigen wir nun zusammen ab, sind 1,5 Stunden später unten an der Hütte, wo es noch ein prima Essen, Polenta und Goulasch, gibt.

Und nach einem Bierchen und abschließendem Capuccino und herzlicher Verabschiedung mit Handschlag vom Hüttenwirt, machen wir uns auf den Rückweg zum Rifugio Laghi di Cornisolo, zum Auto.

16 Uhr sind wir dort. Packen und Fahrt nach Carisolo/Pinzolo zum Camp, wo wir gestern schon waren.

Die Chefin erkennt uns gleich und scheint erfreut.

Wir bekommen auch den gleichen Platz von vorgestern wieder.

Zelt aufbauen, Duschen... Insgesamt fand ich den Tag sehr schön, es muss kein Gipfel mehr sein. Die Schwaben sind sicher jetzt, 18 Uhr, immer noch unterwegs.

Sie werden es nicht schaffen bis zur Segantinihütte, sicher bleiben sie oben im Orobia-Biwak.

Aber die Presanella von dieser Seite ist für uns beide passé.

Abends noch kurzer Einkauf in Pinzolo, aber mangels passendem Restaurant fahren wir zurück zum Camp und kehren dort ins Lokal ein, wo wir vorgestern schon waren. 2 Liter Wein sind dann am Ende recht heftig und wir entsprechend arg in Fahrt.

 

Donnerstag, 09.09.2004

Morgens ist es heute ziemlich bewölkt, es ist oben in den Bergen augenscheinlich nicht so schön und klar wie in den vergangenen Tagen.

Nach dem Packen geht es noch einmal nach Pinzolo zum Frühstück. Espresso, Capuccino und Croissants unter alten Bäumen, was sonst…

Traumhaft.

Dann schließlich Fahrt talwärts, in Richtung Riva del Garda. Der Wechsel, der sich nun zeigt, dieser jähe Wechsel von Klimazonen ist einfach beeindruckend.

Die weiten arktischen Gletscherlandschaften des Adamello, die Wälder in den Hochgebirgstälern, dann die sonnigen Wiesen und Maisfelder, die toskanaähnlichen Alleen im weiten Tal, wieder tiefe trockene Schluchten wie auf dem Balkan und plötzlich Sonne Zypressen, Palmen... Und der große See.

Innerhalb einer Stunde sind wir im tiefsten Süden.

Wir sind auch nur noch 80 Meter über dem Meeresspiegel.

Der Anteil der Deutschen liegt hier sicher bei über 50%, doch es ist tatsächlich wunderschön hier unten.

Weniger das Gedränge der Menschen an der pompösen Uferpromenade oder im Yachthafen, sondern vielmehr diese plötzliche südliche Atmosphäre, das Licht die Luft, die kleinen Kirchen in den alten Bergdörfern, die Weingärten an den terrassierten Hängen...

Vom See her weht ein frischer Wind.

Nach dem Foto, wir mit Gletscherbrillen am Seeufer , essen wir in einer weinlaubüberdachten Pizzeria abseits des Zentrums eine tolle Pizza, die direkt vom Holzkohlengrill kommt. Besser geht es nicht.

Halb zwei dann Abfahrt, Abschied vom Süden.

Je weiter wir nach Norden kommen, Trient, Bozen, Brenner, desto klarer wird der blaue Himmel.

Keine Spur mehr vom südlichen Dunst.

Gute Sicht auf Stubai und Olperer. Am Zuckerhütl oben kein Schnee mehr. Alles schwarz...

Schlimm.

Innsbruck, Tanken bei Rosenheim, hier sind die Farben wieder viel herbstlicher. Wir sind wieder im Norden, das spürt man.

Stau um München, den wir zu umgehen versuchen.

Aber leider vergeblich, denn auf den Nebenstraßen ist ebenfalls viel Verkehr. Holledau, Regensburg, noch einmal ein schöner Sonnenuntergang, aber auch hier ist das Farbenschauspiel schon sehr vom kommenden Herbst beeinflusst.

 

22.30 Uhr sind wir zurück.