Dienstag, 29.Juni 1994

Kilirnanjaro 1994
Endlich ist es soweit.
Über ein halbes Jahr haben wir uns auf diesen Zeitpunkt moralisch und körperlich vorbereitet, doch nun suchen wir zunächst vergeblich das erwartete Riesengefühl.
Am Büro von MAULY-TOURS in Moshi, am Fuße "unseres", von schweren Wolken verhüllten Bergriesen ist es heiß, wir geben unsere nicht für die Tour benötigten Gepäckstücke zur Aufbewahrung ab und kaufen Trinkwasser.
Zusammen mit unserem Guide Abbey, der an seiner Krücke behender durch die Gegend lief als wir alle zusammen, lernten wir bereits in den letzten beiden Tagen die Landschaft am Kilimanjaro näher kennen.
Endlos weit erstreckt sich nach Süden die Massai-Steppe, überragt von einzeln stehenden Bergmassiven, das Klima ist mild, aber aufgrund einer durchschnittlichen Höhe von ca. 1000 Metern nicht so tropisch, wie wir es uns vorstellten.
Die Vegetation beschränkt sich auf die typischen Savannenpflanzen Schirmakazien und Baobabs und von den hier lebenden Menschen, dem Volk der Chaggas, wird der Boden intensiv bebaut, Mais hauptsächlich, Hirse...
Überall sehen wir die aus einem Astgeflecht und Lehm gebauten Hütten, die, wie wir später erfahren, aller zwei bis drei Jahre neu errichtet werden müssen. Die etwas Reicheren besitzen Steinhäuser.
Und das Streetlife ist wie im Film, die Menschen, welche die endlosen Strecken am Straßenrand laufend, mit dem Gepäck auf dem Kopf balancierend, bewältigen.
Die Fahrzeuge meist von Hilfsorganisationen, japanische Automarken sind vorherrschend, größtenteils alt aber robust, rasen wie die Wilden die Pisten entlang ohne Rücksicht auf die Fußgänger und dann die Reihendörfer an der Straße mit "Jambo" schreienden Kindern und neugierig blickenden Erwachsenen.
Freundlich sind die Menschen hier.
Und für afrikanische Verhältnisse ist der Wohlstand in dieser Gegend gegenüber den anderen Landesteilen Tansanias doch recht groß.
Niemand hungert, der Boden ist fruchtbar, an Niederschlägen mangelt es hier nicht. Grün ist das Land am Kilimanjaro.
Wir machen am ersten Tag eine kleine Wanderung knapp unter der Nationalparkgrenze in einer Höhe von ungefähr 1700 Metern. Direkt am Ursprung des Bergmassivs baut man hauptsächlich Bananen und Kaffee an.
Und inmitten der endlosen Plantagen leben die Chaggas in ihren Lehmhütten.
Hier oben ist die Temperatur noch besser zu ertragen und an den kleinen Wasserfällen im dschungelähnlichen Wald ist es sehr angenehm. Am zweiten Tag besuchen wir eine durch die Deutschen um die Jahrhundertwende errichtete Mission.
Und die Schwester zeigt uns ganz stolz ihr aus Spendengeldern aufgebautes Hospital mit Entbindungsstation, was besonders Dagi interessiert. Danach machen wir noch einen kleinen Abstecher zu einem nahegelegenen Kratersee, dem Lake Chala in der Nähe.
Sehr gewöhnungsbedürftig ist für uns jedoch in diesen Breiten der exakt gleiche Tag- und Nachtwechsel innerhalb von zwölf Stunden. Halb sieben frühmorgens wird es ohne großen Übergang in fünfzehn Minuten hell und halb sieben am Abend binnen fünfzehn Minuten wieder dunkel. So sind wir gezwungen, auch unsere Ausflüge erheblich davon bestimmen zu lassen, denn in der Finsternis sind die Straßen durch die teilweise ohne Licht fahrenden Autos und die Schlaglöcher recht gefährlich. Dadurch bekommen wir einen ganz guten ersten Eindruck von den Lebensbedingungen hier.
Und nun stehen wir immer noch vor MAULY-TOURS, weil Martina ganz sicher gehen will und das Verstauen ihres Gepäcks persönlich überwacht. Wir sind gespannt auf die Tage da oben, aber Christoph, unser Reiseleiter, hat uns schon am zweiten Abend im Hotel bei der Vorstellungsrunde den Zahn gezogen, unbedingt auf dem Gipfel stehen zu wollen, da mit der Höhenluft nicht zu spaßen ist. (Infolge des auf großen Höhen wesentlich geringeren Sauerstoffpartialdrucks werden die Lungen mit zu wenig Sauerstoff versorgt, das Blut bildet, um den Sauerstoff zu binden, vermehrt rote Blutkörperchen und somit kommt es zu einer gefährlichen Verdickung des Blutes. Folgen können Wasseransammlungen, Ödeme, in Lunge oder Gehirn sein. Und dann ist allergrößte Eile notwendig, in niedrigere Regionen abzusteigen. Aber so in diesem Ausmaß ist uns das zu dieser Zeit noch gar nicht bewußt. (Vielleicht auch ganz gut so. d.A. 2001)
Der Weg ist das Ziel, die Landschaft, die Vegetation...
Aus diesem Grund wird wohl jeder von uns von denselben gemischten Gefühlen und Unsicherheiten beherrscht. Wenigstens bis zur Kibohütte, das wäre schon ein kleiner Erfolg. Und vielleicht doch den Gipfel ???
Endlich fahren wir.
In Himo biegt die Straße nach Marangu, zum Nationalpark-Gate ab.
Nun geht es straff bergauf, die Landrover haben gewaltig zu arbeiten, ehe wir oben sind.
Ein mit Maschinenpistole bewaffneter Wächter öffnet uns das Tor und wir rollen auf den Parkplatz.
Viele Einheimische stehen und sitzen erwartungsvoll und lauern auf eine Anstellung als Träger oder Guide oder Koch, aber MAULY-TOURS hat bereits alles organisiert, wir haben unsere Mannschaft von 39 Leuten, davon 3 Köchen und 5 Bergführern zusammen.
Unsere Gruppe besteht aus 18 Leuten,
- Raphaele (MTA) und Konrad (Mathe- und Sportlehrer, jung verliebt),
- Gudrun (ehemalige deutsche Meisterin im Tennis) und Rolf-Dieter (Psychiater), ein uriges Ehepaar,
- Erika (Linguistin) und Herbert    (Diplom-Ingenieur), unsere rasende "Rote Latzhose", alle schätzungsweise um die Fünfzig,
- Helga (35) (Journalistin in der Stadtverwaltung) mit Höhenmesser am Handgelenk,
- Susanne (29), Rechtspflegerin, die nur wegen der Pflanzenwelt zum Kili will,
- Michael (35), Apotheker beim Bund,
- Michael (29), der mit ungebremsten Optimismus den Uhuru Peak erreichen will,
- Dieter (32), Chemielaborant, der das Ganze mit Gelassenheit sieht,
- Mike (29), Vertreiber für Meßgeräte, für den insgeheim auch nur der Uhuru zählt, der eifrig Hans Meyers Erstbesteigung von 1889 liest und den besten Höhenmesser mit sich führt,
- Martina (29), Angestellte,
- Johannes (29) und Anne (22), unsere "Honeymooners", frisch verheiratet und noch nie gewandert, Bauer und Bankkauffrau,
- wir zwei
- und schließlich der Fast-Zwei-Meter-Mann Christoph (31), unser Reisel aus dem Ruhrpott, gelernter Krankenpfleger, Marathonläufer, Pfadfinder und Reiseleiter für Wikinger, ein sehr sympathischer Mensch.