Sonntag, 15.07.2007


Im Tal ist es schattig und feucht. Das Zelt ist nass, ehe die Sonne kommt, dauert es auch noch eine Weile. Wir stehen bereits viertel sieben auf und wollen die Stunden, in denen die Temperaturen noch angenehm sind, nutzen, um so weit wie möglich zu kommen. Aber Günter muss das Zelt nass zusammen packen. Nach kurzem Frühstück (Salami und Brot, den Käse habe ich zu Hause vergessen) steigen wir auf die Räder und dann radeln wir gemütlich im schönen Kirnitzschtal aufwärts. Es sind in diesen Schluchten gerade einmal 15°C, aber das ist zum Fahren ideal. Nach einigen Kilometern wechseln wir auf den Wald- oder Forstweg, der weiter an der Kirnitzsch aufwärts in Richtung Böhmen führt. Wir treffen auf diesen 15 Kilometern nur auf drei Leute und am Fußgängergrenzübergang lernen wir noch eine ältere Dame kennen, die sehr rüstig ist und mit und Zelt ganz allein Mitteleuropa erkundet. Sie hat gerade den Oder-Neiße-Radweg absolviert und kommt nun aus Richtung Hrensko. Nach kurzem Schwatz, Günter überlässt ihr noch seine Cykloserver-Karten, kurbeln wir nun zur Balzhütte/ Na Tokani hinauf. Der anfänglich allmählich ansteigende Weg wird zusehends steiler und wir kommen im oberen Stück ziemlich ins Keuchen und  Schwitzen. Aber wie soll der Anstieg von 180 auf 420 Meter auf dieser kurzen Strecke sonst bewältigt werden? 
Es wird auch rasch wärmer. An der Balzhütte ist reger Betrieb, eine deutsche Wandergruppe, die hier übernachtet hat, sorgt für Bewegung. Der Chef sitzt unbeteiligt an einem Tisch und erst auf Günters Nachfrage, ob es etwas zum Frühstück gibt, aktiviert er die junge Kellnerin, die freundlich lächelt und uns schnell zwei Kaffee und Apfelstrudel bringt. So lässt es sich leben. Einige Zeit später sehen wir auch die ältere Dame hier aufkreuzen, sie sieht nicht ganz so geschafft wie wir aus. Na, so fit zu bleiben ist natürlich schon eine Perspektive für das Alter. Nach dem Frühstück rollen wir schnell bergab gen Chribska.
Wir verlieren enorm an Höhe, rasch ist die Böhmische Schweiz durchquert. Und kurz vor Chribska sehen wir zum ersten Mal die uralten bewaldeten Vulkankegel der Böhmischen Lausitz. Wir haben das zweite Gebirge überquert, das dritte liegt vor uns. Drüben erhebt sich der Jedlova, gar nicht weit entfernt. Die Landschaft ist, wie wir auch im Laufe des Tages immer wieder feststellen, wunderschön und die Dörfer schmiegen sich idyllisch in die Täler. Hier scheint das Leben nach einer anderen Uhr zu laufen. Alles scheint friedlich und still, viel gemächlicher als im schnelllebigen Deutschland. Die Menschen sind hier offensichtlich nicht so auf Perfektion und Ordnung festgelegt. Das sieht man an Gärten und Häusern. Alles wirkt nicht so abgezirkelt, aufgeräumt und steril wie bei uns und gerade das macht ja auch die Vielfalt des Lebens aus, nicht alles in enge Grenzen zu zwingen, sondern dem Ganzen auch seinen Lauf zu lassen und es einfach zu genießen.
In Chribska halten wir kurz an einem erstaunlicherweise am Sonntag geöffneten kleinen Lebensmittelladen an, um etwas zu Trinken und zu Essen zu kaufen. Das sind die kleinen Läden, die es bei uns auch vor vielen Jahren gab. Die mittlerweile alle dem Großmärkten und Discountern zum Opfer fielen. Auch hier ist alles billig, wovon diese Geschäfte leben, ist uns nicht klar, aber sie sind gut besucht und es scheint zu funktionieren.
Von Chribska müssen wir nun über den ersten Höhenzug der Lausitz gen Kytlice. Auf der sicher auch über 12% steilen Auffahrt sehen wir westlich die Hänge des Studenec, des Kaltenberges, der mit über 700 Metern zu den Höchsten hier zählt. Gut sichtbar sind auch dessen Geröllhalden, welche es auch am Kleis gibt und wo man Gämsen ausgesetzt haben soll.
Aus über 520 Metern Höhe schießen wir nach einer Rast hinab nach Kytlice, auch hier böhmische Idylle, die Langsamkeit des Lebens... Von Kytlice erneut auf steilen Straßen, 12% und vielleicht mehr sind immer wieder gängige Einheitswerte für die Steigungen. Nachdem wir uns auch auf diese Anhöhe (ca. 530 m) gekämpft haben, haben wir von hier oben aber schließlich einen tollen Blick auf das tief unter uns liegende Novy Bor und auf der folgenden Abfahrt auch auf den steilen majestätischen Kegel des Kleis. Novy Bor liegt nur noch 250 Meter hoch. Obwohl ich lediglich 1982 einmal hier war, wirkt der Marktplatz sehr vertraut auf mich. Außer ein paar Werbeschildern scheint sich in den vergangenen 25 Jahren nichts verändert zu haben. Die Stadt wirkt mit ihren Häusern und Villen in den Vororten sehr bürgerlich und hat sicher glanzvolle Zeiten erlebt. Weiter nun, Günter hat an einem Automaten Kronen geholt, durch zahlreiche böhmische Dörfchen, schöne Blicke auf die Lausitzkegel Kleis und Lausche, den markanten Ortel passieren wir südlich. Das wellige Land, die weiten Getreidefelder, unterbrochen von Wäldern, die Berge es ist schön hier.
"Oh happy day" fällt mir ein und trotz der Glutzhitze, die auch der heiße Saharawind nicht lindert, fühle ich mich wunderbar entspannt und genieße diese Fahrt. Noch weit entfernt haben wir den Jeschken gesichtet. Und wir hatten gehofft, bald da zu sein. Aber in der Wärme, in der sogar der Asphalt schmilzt und mit dem Gepäck kommen wir nicht so schnell vorwärts.
Doch warum auch?! Der Tag ist lang, das Land ein Traum. Südlich der Ralsko mit der weithin sichtbaren Burgruine. Straz pod Ralskem, eine Retortenstadt, wahrscheinlich eigens wegen der Ansiedlung der Arbeiter für die Uranproduktion hier gebaut. Das sind die Nachteile, triste Plattenbauviertel, ausgestorbene Straßen, kein Vergleich mit den alten Dörfern.
Urplötzlich wechselt auch die Vegetation, kilometerweit ist hier Sandboden, Kiefernwald. Und die Luft glüht, wir spüren allmählich die Erschöpfung. Aber bis Osecna ist es nicht mehr weit, hoch reckt sich das Jeschkengebirge, der Turm als menschengemachte Weiterführung des felsigen Gipfels, in den Himmel. 
Osecna, noch 2 Kilometer bis Januv Dul, zum Camp 2000.

Ist schon merkwürdig, Camp 2000, solch ein Name in solch einer gottverlassenen Gegend.

Und dann die vielen Fahrzeuge mit Wohnwagen und den gelben Nummernschildern an der Campeinfahrt.... In der Rezeption merken wir dann auch, dass der ganze Platz von Niederländern belegt ist. Die Chefin ist selbst Niederländerin, es handelt sich also vermutlich um einen Geheimtipp für die niederländische Camping-Szene. Eine niederländische Enklave in Böhmen.
Hier ist großes Getümmel, nach dem Aufbauen und dem Ausruhen beschließen wir, im Ort nach einer böhmischen Kneipe zu suchen, und nicht den hier angebotenen Goulasch oder das Grillzeug essen zu müssen. Aber, es ist nicht nachvollziehbar, im ganzen lang gezogenen Ort gibt es kein einziges "Restaurace" oder "Hostinec". Also zurück, noch einmal aufs Rad und hinab nach Osecna. Und auch hier, im Hotel, einer verräucherten Spelunke, gibt es nur noch Bier und kein Essen mehr. Die Kellnerin verweist uns in ein anderes Restaurant, unweit, das sieht ebenfalls recht verfallen aus... Und dort, als wir die Räder abstellen, zeigt uns der Kellner schnell das Schild. Sonntags ab 20 Uhr geschlossen. Prima :-( Wir sind hungrig und durstig und müssen nun doch im Camp essen. Also dann Knödel und Goulasch, es schmeckt wider Erwarten ganz gut, ist aber für uns kaum ausreichend, so dass wir das Ganze noch einmal bestellen.
Ringsum tobt der Bär, drinnen in der Scheune mit Bar und Tanzfläche spielt eine Bumskapelle Hits aus den 80ern, die Einzigen, die das aber interessiert, sind die Kinder.
22 Uhr ist trotz des Getöses Nachtruhe.


Strecke: 87,66 km, Zeit: 5:31:28, Höhenmeter: 1150