Montag, 17.07.2006


Nach dem Packen und Frühstücken (Brot, Salami, Käse ;-) ist 7.30 Uhr Abfahrt.
Wieder wird es einen sehr sonnigen heißen Sommertag geben. Ich sehe mir noch die Innenstadt von Martigny an, dann das uralte römische Amphitheater, was ich aber nicht so unbedingt sehenswert finde und fahre anschließend 20 Kilometer Landstraße bis Riddes, weil ich nicht sofort den Rhone-Radweg finde.
Doch es fährt sich auf der abgetrennten Velospur recht angenehm. Ab Riddes geht es weiter auf dem Rhone-Radweg, wieder am Fluss entlang bis Sion. Und auch hier riskiere ich einen Abstecher bergauf in die Stadt hinein, um mir die Altstadt anzusehen und Brot zu kaufen. Sion ist sehr sehenswert, hat südliches Flair und die Altstadtgassen wirken sehr gemütlich und beschaulich.
Weiter auf der Rhone-Route nun bis Sierre. Schon während der Fahrt überlege ich nun unschlüssig, ob ich wirklich den Abstecher ins 25 Kilometer und 1700 Meter hoch gelegene Zinal wagen soll. Der erwartete Ausblick auf die Walliser Viertausender lockt natürlich. Aber der Anstieg von 500 auf 1700 schreckt mich etwas ab, zumal ich ja noch die Scheidegg und den Sustenpass im Programm habe. Als ich dann die in Serpentinen steil aus dem Tal aufsteigende Straße sehe, bin ich noch unschlüssiger.
Aber dann, kurz entschlossen, versuche ich es einfach. Ich muss sofort auf den zweitkleinsten Gang herunterschalten, sonst schaffe ich diesen Anstieg nicht! Und der ist heftig. Nicht zu vergleichen mit dem Mittelgebirge gestern. Allerdings gewinne ich, mit einem Schnitt von 7 - 8 km/h sehr rasch an Höhe und schon nach zwanzig Minuten befinde ich mich ca. 300 Meter über dem Talboden. Doch diese Trittfrequenz und diesen plötzlichen Geschwindigkeitsabfall bin ich nicht gewöhnt. Ich komme damit im Augenblick einfach nicht zurecht.
Auf ungefähr 830 Metern Höhe wende ich deswegen plötzlich. Ich mache mich hier fertig. Und dann bin ich womöglich nicht mehr in der Lage für die anderen Pässe. Das wäre fatal. Zumal ich ja morgen auch die gleiche Straße wieder hier herunter käme. Also lasse ich mich nun doch bergab rollen, muss noch einige Minuten lang Begründungen für meine Entscheidung suchen, aber die Vernunft hat einfach gesiegt.
Ich denke, diese Entscheidung war auch jetzt im Nachhinein betrachtet, ganz richtig. Ich sehe es als ein Training, eine Erfahrung an, wie man Passstraßen befahren sollte, und fahre nun rasch weiter nach Susten. Leider geht es auch hier über 8 Kilometer auf einer stark befahrenen Autostraße. Hinter Susten suche ich wieder einmal den Rhoneradweg, die Schilder waren etwas irritierend, aber das klärt sich schließlich auch. Mein Ziel ist nun für heute, nach Kippel ins Lötschental hinauf zu kommen, morgen durch den Lötschbergtunnel mit dem Autozug und über Kandersteg nach Grindelwald zu fahren.
13 Uhr erreiche ich Gampel-Steg. Von hier führt nun die Straße hinauf, wieder mit schrecklichen Serpentinen, bis Goppenstein, zur Autoverladung. Ein Schild warnt eindringlich die Radfahrer vor einem Anstieg um 580 Höhenmeter auf den nächsten 7 Kilometern. Die Prozente dieser Steigung will ich jetzt im Kopf nicht ausrechnen, also wage ich mich einfach an diesen Berg. Die ersten Serpentinen schaffe ich auch noch, oh, das sind schon fast 100 Höhenmeter. Dann kann ich glücklicherweise von der verkehrsreichen Straße herunter und nun auf der alten stillgelegten Talstraße durch die Lonza-Schlucht aufwärts. Die Schlucht ist sehr schön, ich strampele auch noch ein ganzes Stück. Aber die Hitze wird nun immer schlimmer, wenige Bäume spenden nur Schatten, der Schweiß läuft in Strömen und ich habe den Eindruck, einfach nicht vorwärts zu kommen. Deprimierend...
Irgendwann bin ich so weit, ich steige vom Rad, schiebe...  Das ist hoffentlich kein Eingeständnis einer Schwäche. Insgeheim fluche ich auf die Sandkastenspiele, welche ich daheim an der Landkarte vollzogen habe, während ich mit schmerzenden Unterarmen mein schweres Rad schweißtriefend bergauf schiebe.
Was soll das an den großen Pässen nur werden?! Da komme ich nie hoch! Die sind noch viel höher und steiler. Aber nur nicht aufgeben jetzt!
Auch später, weiter oben, als ich nun wieder auf der Autostraße durch ein paar Tunnel schiebe, durch welche auch von vorn und hinten die Laster an mir vorbei donnern, ist mein einziger Gedanke, jetzt nur nicht schwach werden und aufgeben. Das wäre zu schade nach der langen Vorbereitung.
Über mir ein Schneegipfel, welcher auch immer, das ist mir jetzt völlig egal. Goppenstein ist nah!
Nur auf Kippel, also weitere 200 Höhenmeter, habe ich absolut keine Lust mehr. Diese Hitze nervt mich jetzt so sehr, dass ich mir kurz entschlossen eine Fahrkarte für den nächsten Zug durch den Tunnel kaufe. Vielleicht ist es drüben in Kandersteg schattiger, kühler. Das Klima auf der Nordseite ist doch sicher ganz anders.
Und wenige Minuten später sitze ich erschöpft im Zugabteil, mein Fahrrad steht in der Motorradabteilung. Ich bin der Einzige hier drin. Kurz darauf geht es mit Eisenbahngeschwindigkeit durch den langen Tunnel. Nichts wie weg aus diesem heißen, stickigen Rhone-Tal. Da war doch 2001 unsere Erfahrung in Visp ganz anders, als wir vom Strahlhorn kamen. Aber da kamen wir aus Schnee und Eis...
Jetzt bin ich erleichtert, dieser Sonnenglut zu entfliehen. Es wird schon wieder hell...
Kandersteg...
Ich fahre hinter den Autos über den ganzen Zug zur Rampe vor. Gleich darauf entdecke ich auch ein Zeltplatzschild. Prima! An der Straße im Ort sind das allerdings zwei Schilder, das Eine, "Rendezvous", scheint mir jedoch das teurere zu sein, also fahre ich noch einmal ein ganzes Stück in Richtung Talende aufwärts. Aber das macht mir jetzt erstaunlicherweise keine Mühe. Mich irritiert nur diese Aufschrift "International Scout Camp"... Das wird doch nicht...
Die Mädchen im Laden auf dem Camp schicken mich zum Haupthaus, wo die Rezeption ist. Und dort wird mir klar, als ich mich englisch anmelden muss, dass ich tatsächlich im internationalen Pfadfinderlager gelandet bin. Aber für 10 Franken kann ich dort auch übernachten, ein junger Koreaner zeigt mir alles, bringt mich zum Platz, wo ich eine ganze Wiese für mich allein habe, nur auschecken soll ich mich am nächsten Morgen, und dann ist endlich Ruhe nach dieser heutigen Tour. Sogar Duschen kann ich...
Und anschließend, bei angenehmen Temperaturen fahre ich noch einmal ohne Gepäck in den Ort. Nachdem ich Obst, Äpfel und Bananen gekauft habe, setze ich mich in ein Cafe an der Straße und bestelle dort einen Teller Spaghetti Bolognese und ein großes Bier. Und nun bricht wirklich Urlaub aus!
Das hatte mich ja vorhin schon der Koreaner zweifelnd gefragt, ob meine Art durch die Schweiz zu kommen, wirklich Urlaub wäre. Aber siehe da, während ich an meine Familie eine Karte schreibe, geht es mir doch innerhalb von Minuten wieder so gut, dass ich richtig zufrieden bin, schon hier in Kandersteg zu sein. Über allem präsentiert sich, von Quellwolken umhüllt die gewaltige Bluemlisalp (3663 m) mit ihrem Hängegletscher. Riesig.
Nur plane ich jetzt für Grindelwald sicherheitshalber einen Ruhetag ein. So schlafe ich nach diesem Tag auch ganz hervorragend in meinem kleinen Zelt. Das Klima hier oben auf 1200 Metern an der Nordseite der Berner Alpen ist wesentlich angenehmer als da unten in der Rhone-Tal-Hölle.


92,61 km, Schnitt: 15,55 km/h, Fahrtzeit: 5:57:14 Std., Höhenmeter: 1350