Donnerstag, 30.Juni 1994


Horombo hut, 3780 m
Wir haben gut geschlafen, in den Schlafsäcken ist es schön mollig.
Aber da draußen muß es heute nacht gefroren haben, auf den Pflanzen ist Rauhreif zu sehen.
Nach dem Frühstück scheiden sich die Geister. Michael aus Berlin ist krank.
Ob es nun die Höhe oder das Essen ist, ist nicht zu sagen, er fühlt sich jedoch so schwach, daß er in der Hütte bleiben muß. Und sein großes Ziel war doch der Uhuru Peak! Hoffentlich ist er morgen wieder auf dem Posten. Auch Anne liegt im Schlafsack, sie ist krank, höhen- oder magenkrank, schwer festzustellen, so daß sie diesen Tag aussetzt.
Wir andern machen uns auf die Beine.
Auch Mike fühlt sich wieder besser, er kämpft wie ein Mann.
Wir nehmen die Upper Route, die steil nach rechts bergauf führt. Frederick geht voran, er hat den richtigen Schritt, pole pole unser Motto, dann folgen wir in Gänsereihe.
Wir wollen zum East Lava Hill, einer Erhebung am Seddle, 4380 Meter hoch.
Der Pfad ist steinig und verläuft fast direkt unterhalb der Mawenzisüdwestflanke.
Auf 4000 Metern, am "Last Water"-Schild rasten wir. Die Vegetation ist bereits hier wieder einzigartig.
Abgesehen von den Riesensenecien und Riesenlobelien sind auch die Bodenstruktur und die daraus resultierenden ringförmigen Pflanzengesellschaften eine Besonderheit. Durch die nächtlichen Temperaturen gefriert der Boden, und beginnt beim Auftauen nach unten zu rutschen, so daß es teilweise wie geharkt aussieht. (Solifluktion) Die Pflanzen können nicht mehr richtig wurzeln und siedeln sich nur noch an bestimmten Stellen an.
Manchmal liegen am Wegrand herrliche Eiskristalle, die leider zu schnell wieder schmelzen.
Und der durch das Wasser so merkwürdig gestreifte Zebra-Rock ist auch wieder etwas für Auge, Fotoapparat und Kamera.
4000 Meter, das ist neuer Rekord, in den Alpen kommen wir wohl nie in diese Höhen.
Aber ein erhebendes Gefühl will sich dennoch nicht einstellen.
Vielmehr ist da wieder dieses nervende Stechen hinter der Stirn. So ein Mist aber auch, was soll das nur morgen werden?! Wenigstens bis zur Kibohütte möchte ich...
Das letzte Stück zum Sattel wird jetzt schlimm. Die Gruppe zieht sich auseinander,. das Tempo scheint schneller zu werden - und das ist Gift für uns. Aber irgendwann sitzen wir auf der Anhöhe über dem Sattel, der sich vor unseren Augen kilometerweit bis zum Gipfelaufbau des Kibo hinzieht.
Wüste, brauner Staub und Geröll vulkanischen Ursprungs, soweit der Blick reicht.
Und dort, hoch über unserer Position das Dach der Kibohütte, und darüber der graue Serpentinenstrich ist der Weg zum Gillman's Point.
Der Mawenzi mit seinen Zinnen und Felsnadeln ist auch ein bildschöner eindrucksvoller Gipfel, aber nichts für uns Bergwanderer.
Dagi geht es gut, sie hat keine Höhen- und Konditionsprobleme, aber in meinem Kopf scheint jemand mit dem Hammer gegen den Schädel zu klopfen.
Allmählich ballen sich die Wolken um den Kibo, es wird kühl, auch hinter uns am Mawenzi zieht es sich zu.
So bleiben wir nicht sehr lange auf unserem Aussichtspunkt und steigen wieder ab.
Morgen werden wir die sanfte Lower Route nehmen. Morgen...
Mal sehen was wird. Aber selbst, wenn es uns schlechter geht, auf 4380 Metern waren wir schon.
Der Abstieg geht nun doch sehr in die Knochen und ziemlich geschafft kommen wir am frühen Nachmittag wieder an der Horombo-Hut an.
Anne geht es etwas besser, Michael ist noch sehr schwach auf den Beinen, er wird wahrscheinlich aufgeben.
Am Abend geht es uns allen aber soweit entsprechend, daß wir schon weder eine Menge Spaß haben.
Und auch die Höhenkranken einschließlich mir sind wieder fast voll dabei.
Wieder erleben wir die klare abendliche Gebirgsluft. Moshi ist heute unter Wolken begraben, die letzten Sonnenlichter am Kibo und die Sterne über uns. Wunderschön...