Sonnabend, 15.07.2006


 Ich habe den Eindruck, fast gar nicht geschlafen zu haben, als der Zug in Basel einfährt. Unterwegs ist noch ein Paar zugestiegen, die schlafen unten. Das Abteil ist also voll. Nach einer Ansage auf dem Bahnsteig draußen wird mir bewusst, dass der Zug nicht erst in Zürich wieder hält, sondern schon vorher einmal in Baden. Baden?
Das kommt mir bekannt vor. Baden liegt an meiner Strecke. Also warum nicht schon in Baden aussteigen? Dann erspare ich mir die Fahrt und Suche nach der Route in Zürich und spare so Zeit und Kilometer. Der Zug verlässt die Rheinebene, es wird hügelig, bergig. Und mir wird ein wenig mulmig, denn in den Alpen erwartet mich ja ein Mehrfaches an solchen Bergen.
Aber wenn die hier schon so steil aussehen, wie soll es mit dem schweren Rad erst dort werden? Zunächst frühstücke ich erst einmal. Baden...
Der Zug hält. Ich habe meinen Kram schnell auf den Bahnsteig gebracht. Tja und nun stehe ich hier mit meinem Rad. Am Beginn der großen Tour 2006.
Und eigenartigerweise nach der Stimmung der letzten Tage, doch endlich losfahren zu wollen, der Spannung eine Ende zu machen, habe ich im Augenblick kein großen Ambitionen, überhaupt aufs Rad zu steigen.
Alles scheint sehr fremd, kann man hier in diesen Bergen überhaupt gut Rad fahren? Trübe ist es auch, keine Spur von Sonne, die das aufheitern könnte. Nachdem ich alles verstaut habe, geht es nun zunächst, nach einem Blick auf die Karte, in Richtung Brugg. Auf der Straße bergab zur Aare, die wir im Zug vor wenigen Minuten überquert haben. Aber wenn ich mir so die grünen Berge ringsum ansehe, erscheint es mir völlig unwahrscheinlich, dass es hier in der Schweiz überhaupt möglich sein kann, mehr als hundert Meter flache Strecke zu fahren. Auch nach Brugg geht es nicht nur abwärts, leichte Steigungen sind inbegriffen. Und Straße fahren will ich ja eigentlich auch nicht. Wo sind die Radwegweiser?
Kann es sein, dass ich mir in auf diesen ersten zehn Kilometern recht verloren vorkomme? Niemand ist da, mit dem ich mich jetzt austauschen, beraten könnte. Brugg, ich habe die wasserreiche Reuss, die unfern von hier in die Aare mündet, überquert und dabei gleich einen saftigen kleinen Berg mitnehmen müssen. 10 Kilometer bin ich jetzt doch recht zügig gefahren. Und da sind sie, mitten im Zentrum entdecke ich sie, die kleinen roten Pfeile mit der weißen Schrift und den blauen Kästchen in denen die Nummern der nationalen Radrouten stehen.
Aare-Radroute, Mittellandradoute... Das sieht gut aus.
Olten 35 Kilometer, das ist doch gar nicht so weit. Das ist doch schon fast ein Drittel der Strecke, die ich heute fahren wollte. Die Aare, wasserreich, grün, strömt behäbig in ihrem teilweise felsigen Bett. Und dann sehe ich doch tatsächlich, dass es eine Möglichkeit gibt, immer problemlos dem Fluss zu folgen. Der Weg, teilweise geschottert, teilweise asphaltiert führt nun direkt am Ufer durch Auenwälder flach ins Land hinein. Die Strecke gefällt mir zunehmend, sie ist völlig ruhig, kein Auto weit und breit, abseits der Straßen rolle ich nun die Aare entlang.
Und das Wichtigste, sie bleibt flach! Das ist genau das, was ich zum Einrollen brauche! Zum Gewöhnen an die Schweiz.
An diesem Tag begegnen mir auf dieser Route sehr viele Radfahrer, mit und ohne Gepäck, man grüßt sich pausenlos, das gefällt mir ebenfalls, man gehört einfach dazu. Auch wenn man nicht von hier ist. Aarau, 31,22 km, 1:26:34 Std., Schnitt: 21,64 km/h.
Hier verfranse ich mich erstmalig ein wenig, doch ein freundlicher älterer Herr, der mein "Hochdeutsch" kaum versteht, weist mir den rechten Weg nach Olten. Sehenswert sind an dieser Strecke nun die alten Stadt- und Ortskerne, die Häuser, die sich an die Hänge schmiegen, die Burgen, wehrhaften Kirchen...
Dazu kommt nun noch die Sonne, im Westen sind die blauen Höhenzüge des Schweizer Jura zu sehen und ich fühle mich zunehmend besser. Olten erreiche ich nun nach weiteren 15 Kilometern, die Aare wird mir langsam zur Vertrauten. Es ist schön, sie ständig an der Seite zu sehen. Das enge Tal weitet sich hinter Olten allmählich, wird zur Ebene, einige kleine Anstiege, die allerdings recht unproblematisch sind, halten nicht auf. Und aus Nordosten weht beständig ein Wind, der mich vorantreibt. Besser kann es nicht sein.
Es ist eine waldreiche Landschaft hinter Olten, sehr idyllisch, besonders auch die Dörfer, die ich durchquere. Und über allem liegt eine Wochenendruhe...
Hinter Aarwangen halte ich am Flussufer eine kleine Mittagsrast. Ich bin jetzt 66,7 km gefahren, das ist schon mehr als die Hälfte der Tagesstrecke und es ist jetzt 12.42 Uhr. In Aarwangen gefällt mir besonders das Schloss am Fluss. Und hier am Ufer sehe ich den Badenden auf der anderen Seite zu. Die Aare wird vielerorts durch Wasserkraftwerke aufgestaut, beruhigt und schiffbar gemacht. Man sieht auch viele Motorboote. Nach Wangen verliere ich den Weg, muss nun auf einem schmalen Wanderweg radeln, das ist recht abenteuerlich, aber kurz vor Solothurn stoße ich wieder auf die Hauptroute. Solothurn (89,4 km) ist eine kleine Stadt, die Durchfahrt ist bestens ausgeschildert, ich halte lediglich kurz an, um zu fotografieren. Und dann öffnet sich das Tal endgültig zu einer weiten tellerflachen Ebene, die im Westen vom Jura und im Osten von einigen kleineren Anhöhen gerahmt wird. Nach Süden ist es dunstig, dort liegen irgendwo die großen Seen, die ich heute erreichen möchte.
Aber hier in dieser Ebene wird die Luft immer heißer und stickiger.
Erst kurz vor Biel wird es wieder schattig, der Weg kehrt zur Aare zurück, umgeht die Stadt, von der ich einige hübsche Häuser nur im Vorbeifahren sehe. Und ca. 5 Kilometer hinter Biel, am Beginn des Bieler Sees finde ich nun 16.00 Uhr auch ein Camp, welches ich sofort ansteuere. Ein Glück, man spricht deutsch hier. Die Anmeldung kein Problem (Kosten 17 SFr.), der Platz ist recht leer... Ich habe freie Wahl. Allerdings ist die Wiese baumlos und direkt der prallen Sonne ausgesetzt. Also baue ich rasch auf und gehe anschließend zum See, wo ich zur Abkühlung erst einmal ins Wasser steige. Und das Bier anschließend ist auch ein Genuss.
Vom Badestrand schicke ich dann auch eine SMS nach Hause.
 Die erste Etappe ist geschafft, ich habe etwas Kopfschmerzen, das sind sicher die Nachwirkungen der letzten schlaflosen Nacht. Der restliche Nachmittag vergeht mit Duschen, Dösen und Schlafen im Zelt.


122, 87 km, Schnitt: 21,55 km/h, Fahrtzeit: 5:41:59, Maximum: 42 km/h, Höhenmeter: 680


Es war eine feine erste Tour.
Nur mit dem völligen Alleinsein kämpfe ich ein wenig. Das ist ungewohnt, so richtig gut geht es mir noch nicht.