Zwanzig Kilometer

Nicht weniger, aber auch nicht mehr sind das.


Ehrlich gesagt, ist das Aufstehen die größte Hürde am Samstagmorgen.

 

Von wegen glücklichem Hineinradeln in einen erwachenden Tag und solchen schönen Dingen...


Die ersten Kilometer auf dem Rad sind danach mit allergrößter Überwindung verbunden. Welcher Teufel reitet mich, nicht gleich zum nächsten Bäcker in wenigen hundert Metern Entfernung zu radeln. Das Leben könnte so einfach sein...

Und die Kümmelbrötchen schmecken dort besser.


Die Sonne scheint, leichter Dunst liegt in der Luft, man wird das Gefühl nicht los, dass die Brille beschlagen ist und versucht, permanent mit der Hand darüber zu wischen. Aber da ist ja gar keine Brille. Oder ist das noch der Schlafsand in den Augen?


Irgendwie wird dat hier nix mit dem gemütlichen Hineinrollen in den Tag und dem Genießen.
Denn dem jungen Burschen auf seinem gepimpten Rad muss man ja auch noch zeigen, dass man im fortgeschrittenen Alter noch was auf dem Kasten hat...

Na wenigstens er sieht es nach wenigen Minuten ein, dass er nicht dran bleiben kann...
Noch drei, zwei, ein Kilometer... Endlich, da ist der Bäcker.


So richtig toll geht es mir im Augenblick nicht wirklich. Warum mache ich das immer wieder?
Gut, der Duft der frischen Brötchen, der ab sofort in leisen Wellen in meine Nase dringt, der ist schon eine kleine Mühe wert...


Nun aber zurück.


Entgegen der aktuellen Stimmung nehme ich doch den Weg durch den Wald. Der Schnitt bricht auf dem geschotterten Weg schlagartig ein, schnell ist hier nicht mehr möglich...
Klick... Das war der Schalter...

Plötzlich hört man die Vögel wieder und nicht nur das Rauschen des Windes an den Ohren...
Man sieht und begreift das Grün in seinen zahllosen Varianten, Tönungen und Schattierungen, die scheinwerferartig durchs Unterholz brechenden Sonnenstrahlen, man inhaliert in tiefen Zügen den Duft der am Wegrand liegenden geschlagenen Holzstämme, genießt den stillen See, nicht die kleinste Welle kräuselt die spiegelglatte Oberfläche...


Stille ist ringsum, kein Tackern, Klappern, Motorengeräusch, keine verkniffenen Gesichter hinter den Lenkrädern viel zu großer Autos.

Stille, Ruhe, Gelassenheit...
Ein Milan kreist über der frisch gemähten Wiese und, wie erwartet stakst da auch ein Storch auf der Suche nach Nahrung durchs Gras.


Termine und Geschwindigkeiten sind jetzt völlig nebensächlich geworden.

Es bleibt nur das behutsame Dahinrollen, Schauen und Eintauchen in eine Welt, die uns Menschen (eigentlich) nicht braucht.

Die Regenpfütze auf der Straße scheint wie ein Riss, durch die man in eben diese Welt schauen kann, die uns sonst meist verborgen bleibt und sehr fremd geworden ist.
Man sollte viel mehr Zeit hier draußen verbringen - nicht in kürzerer Zeit weiter fahren, sondern langsamer, intensiver, aufmerksamer in längerer Zeit ebenso weit durch die Welt kommen.


Ich muss gar nichts tun, was ich denke, dass es Andere von mir erwarten...

Ich muss eine Arbeit nicht in Bestzeit ausführen.

Ich muss auf keinen hohen Berg steigen, muss keine extreme Langstrecke auf dem Rad zurück legen, muss mir oder Anderen nichts beweisen.

Was brauche ich Ruhm und Ehre, Reichtum und Luxus?

Ich muss mich selbst, muss meine innere Ruhe, Balance und Ausgeglichenheit finden und die vermutlich einmalige Chance zu leben, schätzen lernen.

Das ist es, was zählt. Alles Andere kann dann, wie auch immer ebenfalls gelingen.
Allerdings weiß ich genau, dass das eine momentane Einsicht ist, deren Umsetzung spätestens am Montag auf dem Weg zur Arbeit erneut auf Belastbarkeit geprüft und geflissentlich auf später verschoben wird...


Nur 20 Kilometer sind es heute Morgen, nur die kleine Bäckerrunde.


Aber es genügt, um gut und entspannt in den neuen Tag zu kommen und sich auf das Frühstück mit heißem Kaffee und frischen Bäckerbrötchen zu freuen.

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